Kommentar |
Die klassische Erzähltheorie hat viel Energie darauf verwendet, den Erzähler zu charakterisieren, bzw. zu klassifizieren: den „auktorialen“ oder den „personalen“ nach Stanzel, den „nullfokalisierten“ und den „intern fokalisierten“ nach Genette. Weniger energisch hat man sich um die Frage gekümmert, wie der Leser die Informationen, die er vom Erzähler bekommt, verarbeitet und wie er dabei – unter Rückgriff auf seine eigene Welt – eine Textwelt aufbaut. Dieser Aufbau der Textwelt spielt aber beim Prozess des Textverstehens eine entscheidende Rolle, und es gibt, gerade in der Moderne, viele Texte, die damit arbeiten, diesen Aufbau einer kohärenten Textwelt zu irritieren oder zu verhindern. Im Seminar wollen wir an Hand der Lektüre solcher Prosatexte (von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart) Strategien der Erzähler analysieren, mit Informationen zu irritieren, und dabei beobachten, wie wir als Leser darauf reagieren. Es geht darum besser zu verstehen, was wir tun, wenn wir verstehen. Texte u.a. folgender Autoren werden gelesen: Thomas Mann, Georg Heym, Franz Kafka, Ilse Aichinger, Heimito von Doderer, Julia Franck, Judith Herrmann, Ingo Schulze. |
Literatur |
Heinrich Bosse: Verstehen. In: Heinrich Bosse/Ursula Renner (Hg.): Literaturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel. Freiburg 1999, S. 63-82; Martinez, Matias/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. München 1999 |