Kommentar |
Während der berühmte autobiographische Trostbrief des Philosophen und Theologen Peter Abaelard (1079-1142) an einen ungenannten Freund von der Mediävistik lange Zeit als isoliertes Werk interpretiert wurde, hat sich in den letzten Jahrzehnten endlich die Auffassung durchgesetzt, daß Abaelards 'Geschichte meiner Unglücksfälle' nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf, in dem sie überliefert ist: Dieser Trostbrief ist nämlich das erste von neun aufeinander bezogenen Schreiben, die ab dem zweiten Brief eine Korrespondenz zwischen Abaelard und Heloise (gest. 1164) darstellen. (Daß Abaelard und Heloise das wohl berühmteste, historisch gesicherte Liebespaar des europäischen Mittelalters sind, sei hier schon deshalb nicht verschwiegen, weil dieses Faktum und die daraus hervorgegangenen Komplikationen - beide traten bald nach ihrer Heirat in ein Kloster ein, waren also Mönch bzw. Nonne des Benediktinerordens - in ihrem Briefwechsel wiederholt thematisiert werden.) Da es in der Korrespondenz zwischen Abaelard und Heloise je länger je mehr fast nur noch um den Nonnenkonvent von Le Paraclet (bei Nogent-sur-Seine, Champagne) geht, den Heloise seit 1131 als Priorin und seit 1135 als Äbtissin leitete, bezeichnet man das gesamte Briefcorpus mißverständlich auch als 'Klosterbriefe'. Welchen Zweck es hatte, ob der überlieferte Text authentisch ist, warum sich Abaelard so intensiv um dieses (Doppel)kloster kümmerte, welche Rolle er im Nonnenkonvent von Heloise spielte und welche Ergebnisse Abaelards Fürsorge letztlich brachten - dies und anderes mehr ist in den letzten Jahrzehnten in der Mittelalterforschung kontrovers diskutiert worden. Im Hauptseminar sollen einerseits die neun Briefe gründlich gelesen und andererseits die wichtigsten Positionen der nach wie vor anhaltenden Kontroverse analysiert und diskutiert werden. Voraussetzungen für den Seminarschein sind die regelmäßige aktive Teilnahme an den einzelnen Sitzungen, ein mündliches Referat zu einem der im Seminarplan vorgeschlagenen Themen und die daraus hervorgehende Hausarbeit (Umfang: ca. 25 Textseiten). Eine biographische Übersicht zu Abaelard und Heloise sowie eine Zusammenstellung der einschlägigen Textausgaben und der wichtigsten Sekundärliteratur werden in der Vorbesprechung verteilt. |
Literatur |
Zur Anschaffung dringend empfohlen wird die preisgünstige Taschenbuchausgabe: Abaelard, Der Briefwechsel mit Heloisa. Übersetzt und mit einem Anhang hg. v. Hans-Wolfgang Krautz (Reclams Universalbibliothek, Nr.3288) Stuttgart 1989. Neueste, freilich nicht ohne kritische Vorbehalte zu lesende Biographie: Michael T. Clanchy, Abaelard. Ein mittelalterliches Leben. Übersetzt v. Raul Niemann u. Ralf M. W. Stammberger. Darmstadt 2000. |