Kommentar |
Anders als die deutsch-französischen Beziehungen gehören die deutsch-türkischen Beziehungen bislang kaum zum Programm der historischen Seminare in Deutschland. Das hat nicht nur mit den sprachlichen Barrieren zu tun, sondern spiegelt die Fokussierung der älteren Diplomatiegeschichte und der Geschichte der Internationalen Beziehungen auf die engeren europäischen Nachbarn Deutschlands. Zeit einigen Jahren zeichnet sich jedoch immer mehr ab, daß die Interaktionen zwischen dem Osmanischen Reich bzw. der Türkei und den europäischen Staaten in einem derart engen Wechselverhältnis standen, daß es angebracht ist, diesen Beziehungen im Rahmen der europäischen Geschichte mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Gerade das deutsch-osmanische/türkische Verhältnis allerdings scheint angesichts der europäischen Vormacht von England und Frankreich im wechselseitigen außen- wie innenpolitischen Kalkül lange Zeit keine bemerkenswerte Rolle gespielt zu haben. Um so erstaunlicher ist es, daß noch immer in Presseberichten von der „traditionellen deutsch-türkischen Freundschaft" gesprochen wird, Ziel der Vorlesung ist es, diesem widersprüchlichen Befund nachzugehen und wenn möglich aufzulösen. Dazu soll danach gefragt werden, wie sich das deutsch-türkische Verhältnis im internationalen Kontext seit der deutschen Nationalstaatsgründung gestaltete und welche politischen und gesellschaftlichen Interessen die beiden Länder und ihre Menschen damit verbanden. Dazu soll zunächst ausführlich auf die Entstehungs- und Intensivierungsphase der politischen und gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei seit dem Berliner Kongreß 1878 eingegangen werden. Der Schwerpunkt der Vorlesung, die die deutsch-türkischen Beziehungen als internationales wie transnationales Phänomen zu erfassen versucht, wird sodann auf dem Ersten Weltkrieg und der Zwischenkriegszeit liegen, weil in dieser Phase der Mythos von der deutsch-türkischen Freundschaft entstand und erstmals politisch von beiden Seiten eingesetzt wurde. In dieser Zeit entwickelte sich zudem ein Netz gesellschaftlicher Verbindungen, das von Militärs, Wissenschaftlern, Künstlern und Publizisten ebenso getragen wurde, wie von Studenten, Handwerkern und Arbeitern. Auch diesen gesellschaftlichen deutsch-türkischen Beziehungen, die sich in individuellen Begegnungen, Vereinen und einer umfangreichen Publizistik äußerten, gilt es daher gleichfalls nachzuspüren. Den Abschluß dieser höchst wechselvollen Geschichte zwischen Mißtrauen und Austausch, Abhängigkeit und Bewunderung bildet schließlich ein Ausblick auf die Phase des Zweiten Weltkrieges und die unmittelbaren Nachkriegsjahre bis zum Staatsbesuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss im Jahr 1957 in der Türkei. |
Literatur |
Literatur: Friedrich Scherer: Adler und Halbmond. Bismarck und der Orient 1878-1890, Paderborn 2001; Mustafa Gencer: Bildungspolitik, Modernisierung und kulturelle Interaktion. Deutsch-türkische Beziehungen 1908-1918, Münster 2007; Lothar Krecker: Deutschland und die Türkei im zweiten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1964; Can Özren: Die Beziehungen der beiden deutschen Staaten zur Türkei (1945/49-1963). Politische und ökonomische Interessen im Zeichen der deutschen Teilung, Münster 1999. |