Kommentar |
Die Kultursoziologie Pierre Bourdieus ist zwar seit den 1980er Jahren breit in Soziologie, Erziehungswissenschaft und Pädagogik rezipiert worden. Doch ist im Laufe der letzten Jahre vor allem im Bereich der Lebensstilforschung, in weiten Teilen der Sozialberichterstattung, sowie der vorherrschenden Bildungsforschung eine analytisch wenig trennscharfe Adaption ihrer Grundbegriffe zu beobachten. Zunächst von Pierre Bourdieu selbst als durchaus projektoffene konzipiert, verloren sie in der Empirie und Theorie anderer Provenienz häufig genau diejenige kritische Qualität, welche ihre ursprüngliche Gesamtkonzeption ausgezeichnet hatte. Prominent sind hier die Begriffe Habitus und Lebensstil, die Systematik der Kapitalsorten und ihrer jeweilig zugehörigen Praxisfelder zu nennen. Etwa von sozialem Kapital zu sprechen, scheint ein Bestandteil alltäglicher, mehr oder minder wissenschaftlicher Rede geworden zu sein.
Nach der einschlägigen Publikation Bourdieus aus den siebziger Jahren, Illusion der Chancengleichheit (Bourdieu/Passeron, 1971), die eine empirisch fundierte Analyse des französischen Bildungssystems zum Inhalt hatte, wurde eine systematische Bildungssoziologie hiesiger Verhältnisse zwar immer wieder gefordert, aber dennoch nicht ausgearbeitet. An diese Stelle sind stattdessen zumindest im Bildungssystem die internationalen Schulleistungsstudien (PISA) getreten, deren Erhebungswellen immer wieder die deutliche Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung sichtbar machen.
Die Lektüre der theoretischen Schriften Pierre Bourdieus lohnt nicht zuletzt in diesem Zusammenhang, denn genau hier stellen seine Begrifflichkeiten wie etwa symbolisches, soziales und ökonomisches Kapital ein komplexes und differenziertes Erklärungsangebot dar. Denn erst in einem etwaigen theoretischen Rahmen einer systematischen Bildungssoziologie können ansonsten isolierte empirische Befunde aufschlussreich synthetisiert werden.
Vor diesem Hintergrund soll im Seminar mit Hilfe einer Auswahl von Texten aus dem recht umfangreichen Werk Bourdieus dessen Begriffsinventar vorgestellt und diskutiert werden. Ein thematischer Schwerpunkt wird in der Diskussion auf der Analyse des sozial-kulturellen Raums, der Leibgebundenheit sozialer Strukturen und der bildungstheoretischen Implikationen innerhalb seiner Theorie liegen. |