Kommentar |
Wer kennt sie nicht, die radikalen und oft sogar geschmacklos-anstößigen Aussagen des Neuen Testamentes: Vater und Mutter zu „hassen“ (Lk 14,26), Tote ihre Toten begraben zu lassen (Lk 9,59f) und im Fall des Konfliktes auch die andere Wange hinzuhalten (Lk 6,29). Lehrt das Christentum wirklich eine Ohrfeigenmoral – eine Art „Sklavenmoral“ wie dies Friedrich Nietzsche unterstellt? Müssen Jesu Jünger wirklich heimat- und besitzlos durch die Welt gehen – wie dies Jesus fordert (Lk 9,58 und 9,3)? Wie radikal hat ein guter Christ zu sein, wenn er eben noch ein guter Christ sein will? Und wie hält es die Kirche mit dem Geld? Schon zur Zeit der Abfassung der Evangelien zeigt sich in der Urkirche ein starkes Ringen zwischen Radikalität und Praktikabilität in der Nachfolge Jesu. Wahrscheinlich offenbart dieses Ringen die grundsätzliche Herausforderung christlichen Lebens schlechthin: die Radikalität der Jesusnachfolge zu bewahren, ohne dabei hart und abstoßend zu werden; den sozialen Sprengstoff des Gottesreiches nicht zu entschärfen, ohne die Welt gleich in Brand zu setzen; die Botschaft in die heutige Zeit zu übersetzen, ohne den Inhalt zu verschleudern; kompromissbereit zu sein und doch keine „faulen Kompromisse“ einzugehen. Die Lehrveranstaltung will mit dem Instrumentar der soziologischen Exegese zeigen, welche Funktion die radikalen Aussagen des Evangeliums zur Zeit Jesu hatten, und wie wir sie in die heutige Zeit übersetzen können (etwa in Form von sozialem Engagement). |