Kommentar |
Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre hat Gattungsgeschichte geschrieben. Von Novalis als „Wallfahrt zum Adelsdiplom“ verspottet, wurde das Buch von der Forschung lange Zeit als Idealtyp des deutschen Bildungsromans angesehen. Was aber genau „Bildung“ in Bezug auf die Lehrjahre heißen könnte ist eine vieldiskutierte Frage. Wilhelms Eingliederung in die bürgerliche Gesellschaft begleiten eine Reihe schrecklicher Verluste. Ob sich durch den Gang der Erzählung ein autonomes Subjekt konstituiert bleibt fraglich, denn eine mysteriöse Gesellschaft – die Männer vom Turm – planen Wilhelms Lebensweg minutiös.
Bildung, Autonomie und Vorsehung werden die zentralen Kategorien sein, entlang derer das Seminar den rätselhaften Bildungsweg Wilhelms interpretieren möchte. Dabei sollen Seitenblicke auf die beiden anderen großen Bildungsromane des 18. Jahrhunderts (Wielands Geschichte des Agathon und Karl Philip Moritz’ Anton Reiser) Aufschluss über den Bildungsdiskurs liefern. Das Nachleben der Lehrjahre in der deutschen Literaturgeschichte (Novalis, Thomas Mann) verweist auf die Wirkmächtigkeit des Gattungsbegriffs, vor dessen Gewalt schon Friedrich Schlegel, selbst Zeitgenosse Goethes, warnte: „Denn dieses schlechthin neue und einzige Buch, welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann, nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengesetzten und entstandenen Gattungsbegriff beurtheilen; das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in ein Schächtelchen packen will.“
|
Literatur |
Textgrundlage: Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, hrsg. v. Ehrhard Bahr, Stuttgart 1982 (Band 7826 von Reclams Universal-Bibliothek).
Alle anderen Texte des Seminars werden Anfang des Semesters über einen elektronischen Semesterapparat zugänglich gemacht. |