Kommentar |
‚Rettung‘ ist ein zentrales und für das abendländische Denken bis heute grundlegendes und – siehe Finanzkrise – aktuelles Narrativ. Geschichten, seien es Mythen, antike Heldenepen, biblische Erzählungen oder moderne Actionthriller, erzählen in unterschiedlicher Weise von Rettungen (und ihrem Scheitern). Fokussiert wird dabei jeweils das Moment der Entscheidung, das Entweder-Oder von Rettung oder Untergang, Heil oder Katastrophe. Fokussiert wird außerdem die (Macht-)Beziehung zwischen Retter und Gerettetem sowie die ethische Frage, wer oder was um welchen Preis gerettet werden soll.
‚Rettung‘ fungiert jeweils als ein Organisationsmuster für Geschehen bzw. für Handlungen, das in der Regel vier Variablen kennt: Wer? (1) rettet wen? (2) wodurch? bzw. auf welche Weise? (3) aus welcher Gefahr? (4) Der Retter kann ein Gott sein oder ein Herrscher, ein Mensch oder der Zufall; gerettet wird entweder das Leben, die Ehre, der Euro oder aber auch nur die Situation oder das Gesicht. Die Möglichkeiten, Rettungsgeschichten zu erzählen, sind daher vielfältig und sie reichen von den christlichen und politischen Basiserzählungen (Christus als Retter, Herrscher oder Feldherren als Retter) über mündliche Erzähltraditionen (Novellen und Märchen) bis hin zu modernen Romanen bzw. Filmen und noch weiter zu Verweigerungen von Rettungsgeschichten im Insistieren auf dem Unrettbaren.
Die Vorlesung gibt – vor dem Hintergrund der abendländischen Voraussetzungen (homerische Epen, Altes und Neues Testament) – einen Überblick über die Literaturgeschichte (von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart) am Leitfaden des Motivs und Narrativs der Rettung. |