Relevanz:
Die EU wird oft als ‚politisches Monster‘ wahrgenommen. In und um Brüssel entwickelt sich ein hyperkomplexes System, das über europäische Staatsgrenzen hinweg autoritative Werte für seine BürgerInnen, und solche in Drittstaaten, festsetzt.
Jedoch geschieht dies nicht zufällig oder einseitig. Es gibt sowohl wiederkehrende Muster als auch unterschiedliche Motivatoren für die Entwicklung dieses Systems. Zum Beispiel: warum geben souveräne Staaten freiwillig und zunehmend Macht an ein direkt gewähltes Europäisches Parlament in Straßburg ab?
Inhalt:
Wir studieren Theorien und Erklärungsansätze der Europäischen Integration, die ihre Wurzeln sowohl in der klassischen Philosophie als auch im Studium der internationalen Beziehungen und in der empirischen Politikwissenschaft haben. Unser Seminar versteht politische Theorie somit nicht als Gegenteil der politischen Praxis, im Sinne eines Widerspruchs, sondern als ein Gegenstück, im Sinne einer Entsprechung; frei nach Popper: Theorien sind wie „ein Netz, das wir auswerfen, um die Welt einzufangen“. Im Einzelnen:
1) Intergouvernementalismus (z.B. Hofmann), der sich aus der zentralen Idee staatlicher Macht und Sicherheit im Neo-/Realismus ableitet, ergänzt durch seine binnenpolitische Erweiterung im Liberalen Intergouvernementalismus (z.B. Moravcsik).
2) Funktionalismus (z.B. Mitrany), der universelle menschliche Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, und im Neo-Funktionalismus (z.B. Haas) die expansive „Sachlogik“ der Integration als zielgerichteten Optimierungsprozess versteht.
3) Föderalismus (z.B. Kant), der die Vernunft des Friedenspaktes betont und im Neo-Föderalismus (z.B. Pinder) eine prozessuale Dynamik der Verfassungsgebung und Staatswerdung fordert.
Weiterhin sind einflussreiche Meta-Ansätze, so Sozialkonstruktivismus und Institutionalismus Bestandteil unseres Seminars - und stets begleitend die Kernfrage der politischen Legitimation, sowohl normativ als auch positivistisch.
Ziel:
Das Anliegen unseres Seminars ist es, die Grundprämissen dieser Theorien und Ansätze kennen und verstehen zu lernen. Wir werden deren Regelmäßigkeiten und Abweichungen an ausgewählten Entwicklungen des EU-Systems identifizieren, analysieren und plausible Kausalzusammenhänge herstellen. Daraus können wir Entwicklungsszenarien und theoriegeleitete Handlungsoptionen, zum Beispiel mögliche Antworten auf die andauernde EURO- / Staaten- / Identitäts- … ‚Krise‘ formulieren. Ebenso dient unser Seminar zur Vorbereitung, z.B. Hypothesenbildung, auf eigene BA Forschungsarbeiten. |