Kommentar |
Die meisten von uns gehen davon aus, dass ihr Leben normalerweise viele Jahre währt. Wir glauben (mehrheitlich), dass unsere Existenz vor vielen Jahren begann und dass sie, wenn uns keine unerwarteten Schicksalsschläge ereilen, noch viele Jahre andauern wird. Diese Überzeugung spielt eine wichtige Rolle in der Praxis, z.B. wenn wir darüber nachdenken, was wir tun sollten, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Sie spielt aber auch eine Rolle, wenn darüber urteilen, wer für was moralisch zur Verantwortung zu ziehen, zu entschädigen oder zu belohnen ist. Philosophisch ausgedrückt: Überzeugungen über unsere diachrone Identität scheinen mit bestimmten Arten moralischer Urteile aus guten Gründen fest verwoben zu sein. Anders gesagt: Personale Identität ist für die Ethik relevant. Seit den frühen 1970er Jahren wird diese "klassische" Position in der analytischen Philosophie zunehmend in Zweifel gezogen. Heutzutage glauben die meisten Philosophen, die sich mit dem Zusammenhang von personaler Identität und Ethik beschäftigen, dass unsere diachrone Identität für die o.g. ethischen Urteile nicht oder jedenfalls weniger relevant ist, als wir gemeinhin annehmen würden. Dieser "revisionistischen" Position zufolge spielen metaphysische Erkenntnisse über uns und unsere Existenz für Fragen, was wir tun sollten, keine zentrale Rolle. Was Metaphysiker über unsere diachrone Existenz herausfinden, ist für die Beantwortung moralischer Fragen mehr oder weniger unwichtig.
Im Seminar möchte ich mit Ihnen gemeinsam verschiedene Varianten der genannten Position erarbeiten und kritisch reflektieren. Dabei werden Sie eine der wichtigsten und spannendsten Diskussionen der neueren analytischen Philosophie kennenlernen, die sich von grundlegenden Fragen der Metaphysik bis hin zu Fragen der angewandten Ethik erstreckt. |