Kommentar |
Wenngleich die Lyrik, zumindest aus (rest-)bildungsbürgerlicher Perspektive, ihren Rang als ‚Königsdisziplin der Dichtung’ bis ins 21. Jh. gerettet hat, so hat die Aufmerksamkeit, die ihr der Literaturbetrieb zuteil werden lässt, doch in den letzten Jahrzehnten erheblich nachgelassen. Diese Tendenz der Marginalisierung bzw. ging einher mit einer Drosselung der Lyrik-Editionen und -Auflagen seitens der Verlage. Edition und Distribution von Gedichten wurde zunehmend eine Angelegenheit von kleinen und Kleinst-Verlagen, während die mittelgroßen und großen Verlagshäuser Lyrik ‚abbauten’ oder sich eine erlesene Lyriksparte (als Traditionspflege und kalkuliertes Verlustunternehmen) ‚gönnten’.
Wenn man jedoch die Literaturpreislandschaft (inkl. Stipendien, Poetikdozenturen etc.) als Indiz nimmt, scheinen dies gar keine schlechten Zeiten für Lyrik(erInnen) zu sein. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten beobachtbaren Akkumulation von Preisen in der ‚Nische Lyrik’ drängt sich die Frage auf, ob derlei Auszeichnungen nicht (wohlwollend gedeutet) eine Form von Ausgleichsökonomie bzw. ummantelte Subventionierung darstellen oder (ins Negative gewendet) das Feigenblatt vor dem schlechten Gewissen des Literaturbetriebs sind, das die großmaßstäbliche Vernachlässigung der Lyrik nur unzulänglich zu kaschieren und – zumindest für die Dauer der Feierstunden und der sich anschließenden Feuilletonaufmerksamkeit – vergessen zu machen trachtet.
Der Peter-Huchel-Preis, der seit 1983 „für ein herausragendes lyrisches Werk des vergangenen Jahres“ verliehen wird, ist in diesem Sinne das institutionalisierte (und mit 10.000 Euro dotierte) Feigenblatt, hat der Preis doch in seinen Satuten verankert, „das Interesse der Öffentlichkeit auf die von den Medien oftmals marginalisierte lyrische Gattung lenken“ zu wollen. Diese hat es bitter nötig, stellen Preisgelder, Stipendien (neben Honoraren für Lesungen, s.u.) doch für diejenigen Teilnehmer am Literaturbetrieb eine Form der Existenzsicherung dar, die ihren Lebensunterhalt gattungsbedingt nicht, wie viele Prosaautoren, über Verkaufszahlen und Verlagseinnahmen sichern können – oder wenigstens, wie DramatikerInnen und HörspielautorInnen, über eine ausgebaute Infrastruktur zur Distribution ihrer Produkte verfügen.
Dabei vermag die Reihe der Preisträger*innen ein wenig Auskunft über Tendenzen und Moden in der deutschsprachigen Lyrik zu geben. Dieser Reihe in chronologischer Ordnung über eine Dekade folgend, wird das Seminar diese AutorInnen (von Hans Thill über Nicholas Born, Uljana Wolf, Oswald Egger, Ulf Stolterfoht, Gerhard Falkner, Friederike Mayröcker, Marion Poschmann, Nora Bossong, Monika Rinck, Steffen Popp bis hin zu Paulus Böhmer) mitsamt ihren jeweils ausgezeichneten Veröffentlichungen in den Mittelpunkt stellen, um an ihnen einige Strömungen und Tendenzen der deutschsprachigen Gegenwartslyrik (und – auf einer zweiten Spur – ggf. auch der Literaturpreislogik) exemplarisch herauszuarbeiten. |
Literatur |
Die Textgrundlage stellen neben einer Auswahl aus den prämierten Gedichtbänden, die von den TeilnehmerInnen (in Absprache mit der Dozentin) selbst getroffen wird, die Dankesreden und Laudationes dar, die größtenteils auf der Homepage des Preises abrufbar sind:http://peter-huchel-preis.de. Am Rande sollen auch die Reaktionen des Feuilletons Berücksichtigung finden.
Der Seminarplan mitsamt Referatsthemen, eine Auswahlbibliographie und einführende Texte werden ab März in DuEPublico (Nr. 818, Kennwort: Huchel15) sowie einem 'analogen' Semesterapparat in der Bibliothek zur Verfügung gestellt. Zur vorbereitenden Lektüre eignet sich z.B.: Korte, Hermann: Geschichte der deutschen Lyrik. Bd. 6: Von 1945 bis heute. Stuttgart: Reclam, 2012 (RUB; 18893). |
Bemerkung |
Drei Seminarsitzungen (16.4., 21.5. und 11.6.) werden (aufgrund des v.a. ‚feiertagsbedingten’ Ausfalls vieler Termine) als Doppelsitzungen stattfinden.
Der Besuch von mindestens zwei der Essener Poet in Residence-Veranstaltungen (20.-24. April 2015) mit Marion Poschmann, Huchelpreisträgerin des Jahres 2011, ist obligatorisch. Einige (fakultative) Exkursionen zu Lesungen/Veranstaltungen sowie der Besuch von ehem. HuchelpreisträgerInnen im Seminar sind in Planung.
Voraussetzung für die Teilnahme ist überdurchschnittliches Engagement (auch über die Sitzungen hinaus), die Bereitschaft, eine 'Autorenpatenschaft' zu übernehmen - und sich mit dem bislang nur rudimentär kartografierten Feld der deutschsprachigen Gegenwartslyrik auseinanderzusetzen. |