Kommentar |
G1 (Lohmar):
Willensfreiheit und moralische Verantwortlichkeit
In den letzten Jahren haben einige Hirnforscher in der breiteren Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt, indem sie behauptet haben, wir müssten unser Selbstbild als frei handelnder und für unsereHandlungen manchmal moralisch verantwortlicher Wesen aufgeben, weil alle wissenschaftlichen Evidenzen dafür sprechen, dass unsere Entscheidungen und Handlungen neuronal determiniert sind. Nicht zuletzt durch diese skeptischenThesen von Nicht-Philosophen hat auch die inner-philosophische Debatte über Freiheit und moralische Verantwortlichkeit einen enormen Aufschwung zu verzeichnen. Aus philosophischer Sicht sind die Beiträge oder ‚Ergebnisse’ der Hirnforschung durchaus interessant; sie berühren aber dennoch nicht direkt die fundamentaleren Fragen, über die Philosophen eine lange und andauernde Kontroverse führen. Nach der Auffassung einiger Philosophen würde nämlich aus „unsere Entscheidungen sind neuronal determiniert“ keineswegs folgen „unsere Entscheidungen sind niemals frei“. Dann wiederum gibt es Philosophen, die behaupten, dass eine Person für das, was sie getan hat, moralisch verantwortlich sein kann, auch wenn sie nichts anderes hätte tun können. Ob unsere Entscheidungen neuronal determiniert sind, ist also eine Frage, die erst Brisanz erhält, wenn man zuvor eine spezifische Theorie über die Natur von Freiheit und über die Bedingungen moralischer Verantwortlichkeit akzeptiert hat. Im Seminar werden wir einige paradigmatische philosophischen Positionen erarbeiten und diskutieren.
G3 (Witt):
Sie alle glauben höchstwahrscheinlich, dass Sie ein und dieselbe Person sind wie die, die sich vor einiger Zeit unter Ihrem Namen an der Universität Duisburg-Essen immatrikuliert hat. Warum glauben Sie das eigentlich? Was macht diese alltägliche Überzeugung wahr? Was sind, mit anderen Worten, die Bedingungen Ihrer diachronen Identität?
Diese Fragen berühren uns tief. Eine Antwort auf sie zu geben, heißt unter anderem, eine Antwort auf die Frage zu geben, wann unsere Existenz endet. Doch nicht nur, wenn wir wissen wollen, welche Ereignisse wir überleben können, sind Fragen personaler Identität interessant. Auch wenn wir uns für moralische Verantwortung, Freundschaftspflichten, kluge Lebensplanung, Patientenverfügungen, Abtreibungen oder einfach dafür interessieren, was wir sind (Tiere, Personen, Gehirne, immaterielle Seelen, …), kommen wir nicht an ihnen vorbei.
Im Seminar möchte ich mich möglichen Antworten auf diese Fragen ausgehend von dem Text nähern, mit dem die neuzeitliche Debatte begann und der bis heute einer der am meisten diskutierten Texte über personale Identität ist: das 27. Kapitel in John Lockes „Essay concerning Human Understanding“. In kritischer, zum Teil historisch-systematischer Auseinandersetzung mit Lockes Ideen möchte ich gemeinsam mit Ihnen einen Überblick über die aktuelle Debatte über personale Identität und ihre spezifischen Probleme erarbeiten, die Ihnen ein solides Fundament für zukünftige Arbeit auf diesem Gebiet geben soll. |
Literatur |
G1 (Lohmar):
Die genaue Lektüreliste und -abfolge werde ich in der ersten Sitzung bekannt geben.
G3 (Witt):
Olson, Eric T. (2003): Personal identity. In: Stephen Peter Stich (Hg.): The Blackwell guide to philosophy of mind. Malden, Mass.: Blackwell, S. 352–368.
Strawson, G. (2011): Locke on personal identity. Consciousness and concernment. S. 163−231.
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