Wenn man orientierungslos in einer fremden Stadt umherirrt, helfen Google Maps und Reise-Apps weiter. Wir besuchen Empfehlungsportale und Reise-Foren im Internet, um uns über Sehenswürdigkeiten, Restaurants und „Sitten und Gebräuche“ im Urlaubsland zu informieren...
Zu der Zeit, als es noch keine digitalen Geomedien gab, keine Satellitenbilder und Fernsehreportagen, waren Reisebeschreibungen Quellen des aktuellen und vor allem nützlichen Wissens über fremde Länder.
Im Seminar beschäftigen wir uns mit dem Hauptsprachrohr der mobilen Menschen des 18. Jahrhunderts: dem Reisebericht. Wir nähern uns der Gattung aus literaturwissenschaftlicher (präziser: struktural-analytischer/narratologischer) und medienwissenschaftlicher Perspektive.
In seinem Buch „Priča i putovanje“ (Reise und Erzählung) entwirft der kroatische Literaturwissenschaftler Dean Duda ein „System der literaturgeschichtlichen Rhetorik des Reiseberichts“, das sieben komplementäre Kategorien – Rahmen (Erläuterung), Itinerarium, Subjekt des Diskurses, Lexikon, Zusatzthematisierung, Erzählung und Adressat – umfasst. Dieses an die Erzähltheorie und strukturelle Semantik von Algirdas Julien Greimas anknüpfende Modell stellt ein analytisches ‚Filter‛ dar, das für die Auseinandersetzung mit der Gattung Reisebericht ein Gewinn ist und im Seminar an historischen Reisetexten aus dem 18. Jahrhundert erprobt werden soll. Unter methodischer Gleichbehandlung fiktionaler und nicht-fiktionaler narrativer Reisetexte werden u.a. aktantielle Struktur, Handlungsschemata und stereotype Muster in den Reiseerzählungen unter die Lupe genommen. Dabei geraten Ethnocharakterologien und völkerbezogenen Stereotype in den Beschreibungen fremder Länder, aber auch unfreiwillige Darstellungen des kulturell Eigenen des Erzählers in den Blick.
Medienwissenschaft greift aktuell die raum- und ortsbezogene Fragestellungen auf und widmet sich zunehmend der Frage der medialen Erzeugung der Geographien, wobei auch der Begriff des Verkehrs in den Fokus gerät. Im Zusammenhang mit dieser Forschungsperspektive bietet sich an, die kulturelle Praxis des Reisens im 18. Jahrhundert und die literarische Konstruktionen aus den Federn von Reiseschreibern medienhistorisch in ihrer „geomedialen“ Dimension zu untersuchen.
Die zumeist in Auszügen zu lesenden Reiseberichte und die Sekundärliteratur werden im elektronischen Semesterapparat zur Verfügung gestellt |