Kommentar |
Dieser Kurs richtet sich vor allem an Lehramtsstudenten, die sich für die soziologische Auseinandersetzung mit aktuellen Hauptthemen der politischen Entwicklung interessieren.
Mit Ausgangspunkt in Karl Mannheims Buch Ideologie und Utopie (Mannheim, 1929) und anderen soziologischen Theorien des politischen Handelns werden wir vier aktuelle politische Themen durchleuchten:
(a) Migration und Präkarität in Europa;
(b) Präsident Donald Trump und die Krise der Amerikanischen Demokratie;
(c) Chinas neue globale Rolle; und
(d) technologische Innovation als politische "Disruption".
Der Streit um "gefälschte Nachrichten" (fake news) und "alternative Fakten" (alternative facts) während der Präsidentswahlen in den V.S. bezeugt, dass sich gegenüberstehende Ideologien verschiedene Wahrheitsansprüche machen und dass der "Chaos" und die "Rationalität" des individuellen Handelns der Wähler ihrer individuellen Erfahrungen entspringen. Ob Demagog, der wider ihrer Interessen die Massen für seinen eigenen Nutzen verführt hat, oder wahrer Demokrat, der Millionen von Nichtwählern zum ersten Mal zu den Wahlurnen gelockt hat, Trump hat herkömmliche Machtstrukturen in eine tiefe Krise gebracht. In Europa und den einzelnen Mitgliedsstaaten stehen Regelungen hinsichtlich des Arbeitsmarktes, der Immigration und der Bürgerrechte in Konflikt mit dem globalen Unterbietungswettlauf um Niedriglöhne und den parteipolitischen Zwängen zur nationalistischen, ethnischen und religiösen Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen; dies ist einer der wichtigsten ideologischen Zusammenstöße des 21. Jahrhunderts. China, ein Land der "rationalisierenden" und "totalisierenden" Ideologie, hat in den letzten drei Jahrzehnten große Wachstumsraten erzielt, sowie die Rolle der zweitgrößten Wirtschaft und der größten Handelsnation der Welt errungen, und ist seit einigen Jahren im Begriff, durch neue internationale Infrastrukturinvestitionen (die "neue Seidenstraße") herkömmliche globale Entwicklungsmodi zu verändern. Technologische Innovationen schaffen Realitäten, derer die Politik und herkömmliche Wirtschaftsstrukturen nicht Herr werden, z.B. im Zahlungsverkehr, dem Transportsektor, Handel, der öffentlichen Verwaltung, Formen der Arbeit, Medizin, und intellektuellem Eigentum, wodurch Vorstellungen von der gesellschaftlichen Entwicklung und politische Ideologien als irrational erscheinen. Karl Mannheims Ansätze bieten einen idealen Ausgangspunkt für Erklärungsmodelle, die große Ideolovien an ihrer Relevanz für den einzelnen Menschen messen, und die es ermöglichen, wichtige Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung zu identifizieren. Wie Karl Mannheim deutlich gemacht hat, Ideologien sind immer unvollständige und sich ständig wandelnde Abbilder der Realität und imperfekte Anleitungen zum menschlichen Handeln. Für den soziologischen Beobachter sind sie dagegen präzise Anzeiger der politischen Interessen und Machtverhältnisse. |
Literatur |
{Mannheim 1929} Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie. Bonn: Verlag von Friedrich Cohen, 1929.
{Mannheim 2015} Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie. 9. Auflage mit einer Einleitung von Jürgen Kaube. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2015 (Rote Reihe) |