Kommentar |
In diesem Seminar geht es nicht – zumindest nicht in erster Linie – um praktische Philosophie, im Sinne des Theoretisierens über die Rechtfertigung von Normen, sondern es geht um den Begriff der Praxis als regelgeleitete Handlungszusammenhänge und seine Rolle als Reflexionsbegriff für spezifische Begründungsansprüche. Wie wird der Begriff der Praxis von einschlägigen Autoren bestimmt und inwiefern bildet er eine methodische Grundlage für die jeweiligen Erkenntnisanliegen? Das Seminar ist hinsichtlich dieser Frage um einen eingehenden Überblick anhand ausgewählter Texte bemüht.
Im Rahmen der theoretischen Philosophie, im Besonderen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, lässt sich schon im Anschluss an den kantischen Angelpunkt ’wir machen Erfahrung’ einsehen, dass dieses Machen von Erfahrung nicht im bloßen Behaupten von Aussagen bestehen, sondern nur handelnd umgesetzt werden kann. Das bedeutet aber für die theoretische Reflexion, dass die Auffassung und Analyse von Wissenschaften als Satzsystemen, wie sie durch den logischen Empirismus paradigmatisch wurde, unzureichend ist und einer Reflexion auf Praxen bedarf.
In einem ähnlichen Sinne drohen analytischen Grundlagendisziplinen der praktischen Philosophie, wie der Metaethik, sofern sie allein auf die sprachlichen Mittel der Rede über Werte und Normen reflektieren, eine Grundlegung in der Praxis zu vernachlässigen. Soll beispielsweise – normativ und methodisch – Kritik an einer Gesellschaft geübt werden, stellt sich hinsichtlich der Gegenüberstellung von externer vs. immanenter Kritik das Erfordernis heraus, soziale Zustände anhand der bereits immanent anerkannten Normen einer Praxis zu messen.
Auf deskriptive Erkenntnis wiederum, indem Praxen und Institutionen zum Objekt einer sozialen Analyse gemacht oder indem das Verhältnis von Praxis und sozialer Ordnung bestimmt werden soll, zielen Teile der Sozialwissenschaften und auch der Sozialphilosophie, für die somit ein Begriff der Praxis wechselweise zur Voraussetzung und zum zentralen Desiderat wird. |