Kommentar |
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erfuhr der deutschsprachige Diskurs um die jüdische Minderheit eine merkliche Ausdifferenzierung. So wurden die Juden nicht mehr nur als Anders- bzw. Irrgläubige begriffen, sondern zusehends auch in protoethnologischer Perspektive und/oder als soziale Gruppe am Rande des Gemeinwesens wahrgenommen. Mit dieser Säkularisierungstendenz ging einerseits die sukzessive Ablösung des traditionellen Antijudaismus (etwa in der Nachfolge Luthers) durch den 'modernen' Antisemitismus einher, andererseits mehrten sich jene Stimmen, die – wie Christian Wilhelm Dohm in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) – für die überfällige Emanzipation der Minorität warben.
Im Rahmen des Seminars soll insbesondere eruiert werden, auf welche Weise sich die Werke von Autoren wie Gellert, Lessing, Goethe, Lenz und Schiller in diese diskursive Gemengelage einschrieben. Um dabei zu belastbaren Ergebnissen gelangen zu können, sind freilich auch völkerkundlich-anthropologische Abhandlungen – darunter Johann Jacob Schudts Jüdische Merckwürdigkeiten (1714) – sowie thematisch einschlägige Schriften von Kant, Mendelssohn und Herder (auszugsweise) zu berücksichtigen. Mit Blick auf all diese Texte ist danach zu fragen, für welche Art des Umgangs mit religiöser und kultureller Alterität sie sich explizit oder implizit aussprechen: Aggressive Plädoyers für die konsequente Exklusion oder gar Extermination der 'Fremden im Innern' werden uns dabei ebenso begegnen wie rigorose Assimilationsforderungen und humanistisch begründete Integrationsangebote. In jedem Fall aber wird es uns wesentlich darauf ankommen müssen, der häufig auszumachenden Interdependenz politischer, ethischer und poetologischer Gesichtspunkte auf den Grund zu gehen. So wäre beispielsweise zu diskutieren, inwieweit von Autoren aus der Mehrheitsgesellschaft unternommene Versuche, den Angehörigen einer diskriminierten Minderheit mittels bestimmter sprachlicher Verfahren 'eine Stimme zu verleihen', für ethisch legitim gelten können. Denn dass derlei wohlmeinende Bestrebungen prinzipiell Gefahr laufen, zu prekären Akten der Vereinnahmung und der Bemächtigung des Anderen zu gerinnen, ist schwerlich zu übersehen.
Auf theoretisch-methodischer Ebene zielt das Seminar nicht zuletzt darauf ab, in die Praxis einer interdisziplinär-kulturwissenschaftlich geöffneten Philologie einzuführen, die etwa Elemente der historischen Diskursanalyse sowie der Stereotypen- und der Interkulturalitätsforschung für sich zu nutzen weiß. Gleichwohl wird es für uns von größter Relevanz sein, die literarischen Strategien der einzelnen Autoren mittels intensiver close readings zu erschließen. |