Kommentar |
Die hier angekündigte Lehrveranstaltung versteht sich als Lektürekurs, in dem wir die ersten beiden Bände von Niklas Luhmanns Gesellschaftsstruktur und Semantik intensiv lesen werden. In der Theoriediskussion findet seine ideenhistorische und wissenssoziologische Forschung zur sozialen Semantik zwar weniger Berücksichtigung als seine Theorie der sozialen Systeme. Dennoch stellt sich das vierbändige Werk als eine Hauptsäule innerhalb seiner zahlreichen Arbeiten dar.
Einst verstanden in der Deutschen Ideologie Karl Marx und Friedrich Engels die Geschichte der Menschheit als Zusammenspiel von Arbeitsteilung (strukturelle Differenzierung) und Verkehr (Kommunikation). Luhmanns soziokulturelle Evolutionstheorie, gestützt auf seine Semantikforschung, lässt sich womöglich an diese Theorietradition anschließen. Jedoch bestimmt ihm zufolge die ökonomische und strukturelle Basis der Gesellschaft die soziale Semantik (Kultur) nicht derart einseitig, wie es das theoretische Modell des orthodoxen Marxismus postuliert. Die soziale Semantik soll weder als einfache Ursache, wie dies die alten und neuen kulturalistischen Theorien darstellen, noch bloß als Wirkung der sozial-strukturellen Veränderung, wie dies der naive Materialismus behauptet, verstanden werden. Ein Wandel auf der semantischen Ebene verweist auf einen auf der strukturellen Ebene, wie Luhmann im Übergang von der stratifizierten zur funktional differenzierten Gesellschaft mit vielen Beispielen illustrierte. |
Literatur |
Luhmann, Niklas (1980-1995): Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, 4 Bde., Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Luhmann, Niklas (1982): Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Morikawa, Takemitsu (2015): Liebessemantik und Sozialstruktur. Transformationen in Japan von 1600 bis 1920, Bielefeld: transcript. Stäheli, Urs (2000): Sinnzusammenbrüche. Eine dekonstruktive Lektüre von Niklas Luhmanns Systemtheorie, Weilerswister: Velbrück Wissenschaft. |