Kommentar |
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Mit der Erfindung des Buchdrucks wird dichtungsgeschichtlich vor allem ein Genre beflügelt: die Narrenliteratur. Die Leserschaft der Frühen Neuzeit brennt offenbar für das Thema. Sebastian Brants Narrenschiff (1494) begründet einschlägige Paradigmen wie die Typensatire, die z.B. auf den Büchernarren abzieht, oder die närrische Lebensreise, die in diesem Fall ins fiktive Narragonien führt. Auch buchmedial wird der Text zum Experimentierfeld, auf dem Buchwerkstätten der Zeit konkurrieren, Übersetzungen die europäischen Volkssprachen gegenüber dem Lateinischen profilieren oder Bildtechniken für die Vermarktung über den Buchdruck optimiert werden - für das Narrenschiff etwa hat Albrecht Dürer Gewicht. Die Erfolgsgeschichte des Genres verläuft rasant. Erasmus von Rotterdams Redesatire Lob der Torheit, närrische Horden wie die Schildbürger und komische Typen wie Till Eulenspiegel, Reinike Fuchs oder Simplicius Simplicissmus treten auf den Plan und erstreiten sich anhaltende Berühmtheit. Die Vorlesung rekonstruiert diesen literaturgeschichtlichen Stabilisierungs- und Ausdifferenzierungsvorgang im epochalen Zusammenhang der Frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert anhand der großen Texte, die das Narrenprinzip zeitaktuell anwenden und etwa Hofkritik üben, Konfessionspolemik einsetzen, Invektiven gegen den Krieg starten oder Gelehrte und Studenten abstrafen. Auch die bemerkenswerte Wirkungsgeschichte der alten Schelmen wird einbezogen und z.B. mit Daniel Kehlmanns jüngst erschienenem Roman Tyll (2017) zu Thema auch der Gegenwartsliteratur gemacht. Kaum ein Genre scheint so geeignet, die frühneuzeitliche Literaturgeschichte in dieser Breite zu erschließen und dabei auch noch bestens zu unterhalten. |