Literarische Rezeption gleicht einem Gespräch im Rahmen privater Geselligkeit: Wenn wir ein Gedicht oder einen Roman lesen oder hören, beginnen wir, nach einem gemeinsamen Thema mit dem Text zu suchen. Im Verlauf des Dialogs erfahren wir mehr über den anderen und uns selbst. Insgesamt geht es dabei mehr um den Prozess der Unterhaltung selbst als um bestimmte Ergebnisse. Literarische Rezeption verläuft wie eine persönliche Unterredung immer einmalig, ereignishaft und entwickelt eine unvorhersehbare Dynamik.
Dies hat literarische Rezeption auch mit Bildung gemeinsam: beide sind dialogisch verfasst und zudem freiheitlich, prozessorientiert, unabschließbar und pluralistisch zu denken. Darin liegt der Bildungswert einer Beschäftigung mit Literatur: sie trägt dazu bei, den Reichtum an Perspektiven, inneren Verflechtungen und Spannungen in der Kultur und im Einzelnen aufzuzeigen, zu Dialog, Wandel und Erneuerung zu befähigen. Damit kann aktuellen Tendenzen zu diskursiver und kultureller Abschottung zu Vereinfachungen, und Schwarz-Weiß-Denken begegnet werden.
Im Seminar erkunden wir, wie wir in der Gesprächsgestaltung Heterogenität und Vielfalt der Schülerschaft wie der literarischen Gegenstände zur Geltung bringen können. Wir diskutieren und erproben, wie ein offener, dialogischer und prozessorientierter Literaturunterricht gelingen kann. Eine solche Form des Literaturunterrichts entspricht dem Gedanken der Inklusion.
Literatur
Härle, Gerhard: Lenken – Steuern – Leiten. Theorie und Praxis der Leitung literarischer Gespräche in Hochschule und Schule. In: „Kein endgültiges Wort“. Die Wiederentdeckung des Gesprächs im Literaturunterricht. Hrsg. von Gerhard Härle und Marcus Steinbrenner. Baltmannsweiler 2004. S. 105 – 139. |