Kommentar |
Die Soziologie ist eine multiparadigmatische Wissenschaft. Soziolog:innen können Bildungsungleichheit als Folge rationaler Entscheidungen oder als Ausdruck eines klassistischen Bildungssystems untersuchen. Wenn Sie selbst forschen, werden Sie intuitiv Phänomene fokussieren, die zu Ihrer theoretischen Orientierung passen. In diesem Seminar werden Passungsverhältnisse zwischen soziologischer Theorie und empirischer Forschung genauer untersucht und reflektiert.
Inhaltlich steht die Frage im Zentrum, wie Menschen Anschluss an ungleichheitsrelevante Kontexte finden. Lebenschancen sind nicht nur davon abhängig, wieviel Geld und Bildung ein Mensch hat, sondern auch davon, ob diese Ressourcen Anschluss finden. Wer gut Bayerisch kann, hat z.B. Vorteile in der CSU, wird aber nicht so leicht Bundeskanzler. Ähnlich geht es Migrant:innen, deren Bildung und Berufserfahrung im Zielland der Migration auf vielfältige Barrieren stoßen. In Weiß (2017) unterscheide ich zwischen drei grundsätzlich verschiedenen theoretischen Perspektiven auf das Problem der Zugangschancen: Mit der Sozialgeographie und Regionalforschung können wir Regionen als Container sehen, in denen Menschen körperlich, sozial und politisch leben. Die politische Soziologie sozialer Ungleichheit unterstreicht, dass Zuschreibungen (z.B. Staatsbürgerschaft oder Rassismus) zentral für Zugangschancen sind. Die Luhmannsche Systemtheorie öffnet den Blick für zahlreiche Teilinklusionen (wie das Zahlen von Mehrwertsteuer beim Einkauf), die z.B. auch für undokumentierte Migrant:innen, die politisch exkludiert sind, Zugänge eröffnen.
Das Seminar beginnt mit einigen einführenden Texten zum Verhältnis von Theorie und Empirie. Dann arbeiten wir uns in die politische Soziologie sozialer Ungleichheit und die Luhmannsche Systemtheorie ein. Wir diskutieren, was diese Theorien für spezielle Fragen leisten und vergleichen empirische Studien in der Migrationsforschung, die sich an diesen Theorien orientieren.
Ich erwarte eine regelmäßige aktive Mitarbeit und ein Referat. Abgabetermin für die Hausarbeiten ist der 15.9.2025.
Weiß, Anja (2017), Soziologie globaler Ungleichheiten, Berlin: Suhrkamp. |