Kommentar: |
„Was war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation?“ Mit dieser vermeintlich einfachen Frage leitet die Frühneuzeithistorikerin Barbara Stollberg-Rilinger ihre Einführung in die Geschichte des Alten Reiches ein. Dass es darauf allerdings keine einfache Antwort gibt, zeigt ein Blick auf die geschichtswissenschaftliche Debatte über die politische Organisation des „Sacrum Romanum Imperium Nationis Germanicæ“. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht die Frage, ob die deutsche Geschichte der Frühen Neuzeit – ganz im Gegensatz zu derjenigen anderer europäischer Länder – überhaupt sinnvoll mit den Begriffen „Staat“ und „Nation“ erzählt werden kann. Denn die Reichsgeschichtsforschung ist sich grundsätzlich uneinig darüber, ob diese Kategorien zur Beschreibung des historischen Phänomens „Altes Reich“ angemessen sind, und hat unterschiedliche Konzepte entwickelt, um ihren Untersuchungsgegenstand zu definieren – sei es als „Reichssystem“ (Volker Press), als „Reichstagsdeutschland“ (Peter Moraw), als „komplementären Reichs-Staat“ und „föderative Nation“ (Georg Schmidt), als „föderal organisierte Gesamtstaatlichkeit“ (Johannes Burkhardt) oder als „lose integrierten politischen Verbund sehr unterschiedlicher Glieder“ (Barbara Stollberg-Rilinger).
In dem Proseminar sollen die Verfassung, die Institutionen und die politische Kultur des Alten Reiches zwischen dem Wormser Reichstag 1495 und der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. 1806 anhand einschlägiger Quellen und neuerer Forschungsliteratur erarbeitet werden. Dabei gilt es zum einen, die Struktur und Funktion der Reichsinstitutionen nachzuvollziehen, und zum anderen, die zeitgenössische Wahrnehmung und historiographische Beurteilung des Reiches zu untersuchen. Vorausgesetzt wird die Bereitschaft zur intensiven Auseinandersetzung auch mit schwierigen Quellentexten sowie mit den theoretischen Positionen der heutigen Reichsgeschichtsforschung. |