Bemerkung: |
In diesem Lehrforschungsprojekt wird den Studierenden die Möglichkeit geboten, eigene qualitative Forschungsfragen zu entwickeln und im Laufe der zweisemestrigen Lehrveranstaltung ein hieran anschließendes eigenes empirisches Forschungsvorhaben durchzuführen. Im Zentrum stehen Forschungsfragen, die auf die Bedeutung von Migration und Geschlecht im Kontext des Sozialstaates und innerhalb von Organisationen abzielen, etwa Erwerbsarbeitsorganisationen, aber auch kommunale Verwaltungen/Behörden oder Wohlfahrtsorganisationen. Dabei interessieren frühere und gegenwärtige Migrationsbewegungen und die damit in Verbindung stehenden interdependenten In- und Exklusionen.
Die eigenen Forschungsvorhaben sollten dabei an folgende Themenfelder anknüpfen:
- Ehemalige Gastarbeiter*innen in Deutschland: In den 1950er und 1960er Jahren fanden aktive staatliche Anwerbungen von Arbeiter*innen, in den 1960/70er Jahren berufsspezifische Anwerbungen ausländischer Fachkräfte (etwa für Pflegeberufe aus Indien, Südkorea und den Philippinen) statt. Vor diesem Hintergrund kam es zu zahlreichen Ein- und Ausschlüssen im Hinblick auf deren gesellschaftliche Teilhabe und sozialen Rechte. Völlig unterbelichtet blieben bei der Mehrzahl der wissenschaftlichen wie politischen Problemanalysen jedoch das Zusammenspiel von Migration und Geschlecht. So sind bis heute zahlreiche Fragen im Kontext vergangener Migrationsbewegungen im Prinzip unerforscht: wie bewältigten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter in Deutschland die Reproduktionsarbeit bei eigener Erwerbstätigkeit? Wie erinnern ausländische Arbeitskräfte ihre Positionierung innerhalb von Erwerbsarbeitsorganisationen? Wie definieren Männer ehemaliger Einwanderergruppen ihre gesellschaftliche und familiale Rolle im Hinblick auf Erwerbsarbeit, Vaterschaft, Partnerschaft?
- „You can make it in Germany“? – Regulierung gegenwärtiger Arbeitsmigration: Im August 2019 hat die Bundesregierung zum ersten Mal ein explizites Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet – und somit den Status als Einwanderungsland nach vielen Jahren letztlich doch akzeptiert. Mit dem Ziel den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken, regelt das Gesetz, wer zu Arbeits- und Ausbildungszwecken nach Deutschland kommen darf – und wer nicht. Das Gesetz soll einen einheitlichen Fachkräftebegriff etablieren, der Hochschulabsolventen und Beschäftigte mit qualifizierter Berufsausbildung umfasst. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum 01.01.2020 ergibt sich ein breites Forschungsfeld: wie sind Fachkräfte im Gesetz definiert und wie werden Personen je nach Herkunftsland und/oder Geschlecht adressiert? Welche Berufe aus welchen Staaten entsprechen dem Fachkräftebegriff und welche (warum) nicht? Wie verläuft die Realisierung des Gesetzes in nachgeordneten Behörden (z.B. Agentur für Arbeit) oder in Unternehmen?
- Varianzen der kommunalpolitischen Adressierung von geflüchteten Frauen und Männern: Gestiegene Geflüchtetenzahlen seit 2014, haben dazu geführt, dass Kommunen in Deutschland mit besonderen Herausforderungen konfrontiert waren – etwa der Unterbringung, Betreuung und Versorgung von Geflüchteten. Etwa seit dem Jahr 2015 ist in Politik, aber auch in der Wissenschaft die Rede von einer „kommunalen Flüchtlingspolitik“. Im Gegensatz zu politikwissenschaftlicher Migrationsforschung, die davon ausgeht, dass nationale Politiken zu überwiegend einheitlichem Verwaltungshandeln führt, könnten sich studentische Forschungsarbeiten mit Varianzen kommunaler Fluchtpolitik in der Praxis auseinandersetzen. Wie werden unterschiedliche geflüchtete Frauen von Jobcentern und Wohlfahrtsverbänden im Hinblick auf deren Erwerbsintegration adressiert? Wie engagieren sich Arbeitgeber*innen um (welche) Geflüchtete in städtischen/ländlichen Kommunen? Aber denkbar auch: Wie wird Sexualität im Asylverfahren normiert?
Weitere Themenschwerpunkte für studentische Forschungsprojekte sind denkbar, sofern sie sich thematisch und methodisch sinnvoll in den Seminarkontext einbinden lassen.
Wir werden uns zunächst mit wichtigen Entwicklungstendenzen in der Sozialpolitik, insbesondere in den Feldern der Migrations-, Integrations- und Arbeitsmarktpolitik durch die Aufarbeitung einschlägiger Forschungsliteratur und Gesetzestexte beschäftigen. Analog dazu entwickeln die Studierenden eigene empirische Projekte in Kleingruppen von i.d.R. 3 bis 4 Personen. Die eigenen Forschungsprojekte werden von der Seminarleiterin und der gesamten Seminargruppe über zwei Semester von der Ideenentwicklung über die Feldphase bis zur Auswertung und Aufbereitung bzw. Verschriftlichung der Ergebnisse begleitet.
Eine Kooperation mit dem LFP von Prof. Dr. Ute Klammer ist angedacht! |