Antike und frühe mittelalterliche Rechtsvorstellungen basieren auf der Annahme, dass der Mensch die gerechte und moralisch gute Einrichtung der politischen Gemeinschaft erkennen und entsprechend umsetzen kann. „Gerecht“ bedeutet hier ein dem natürlichen oder göttlichen Recht entsprechendes Verhältnis der einzelnen Menschen zueinander und zur politischen Gemeinschaft als ganzer. In der Moderne wird diese Auffassung brüchig: holistische Vorstellungen der Natur oder einer göttlichen Gemeinschaft werden nach und nach durch ein naturwissenschaftliches Verständnis ersetzt, und mit ihnen schwindet der Glaube daran, dass sich die politische Macht und die von ihr erlassenen Gesetze aus der Natur oder aus Gott heraus erkennen und begründen lassen.
Die moderne Rechtsauffassung dreht deshalb die Begründungsrichtung um: Es wird nicht mehr eine gerechte Ordnung vorausgesetzt, aus der sich dann Ansprüche und Pflichten einzelner ableiten lassen. Vielmehr bilden Grund- und Freiheitsrechte der Individuen, also sogenannte subjektive Rechte, die Basis der Rechtsordnung, deren Struktur sich dann aus dem Schutz dieser Rechte ergibt.
Subjektive Rechte, zu denen auch die Menschenrechte gehören, gelten vielen als eine der wichtigsten Errungenschaften der Moderne. Allerdings gibt es an diesen Rechten auch grundlegende Kritik: subjektive Rechte sichern private Interessen, die gegen andere Personen durchgesetzt werden und häufig die Erfüllung von deren Interessen ausschließen. Damit stärken sie, so die Kritik, ein (Selbst-)Verständnis von Personen, die sich nicht als Mitglieder der politischen Gemeinschaft verstehen, sondern vornehmlich als abgesonderte, auf sich selbst bezogene Individuen mit Interessen, die sich wesentlich gegen andere richten. In den letzten Jahren, in denen die schädlichen Auswirkungen der Handlungen Einzelner auf Umwelt und Klima besonders deutlich geworden sind, hat diese Kritik noch einmal neues Gewicht bekommen.
Wir werden uns im Seminar zunächst die Begründung subjektiver Rechte anschauen und uns dann deren Kritik zuwenden: Sind subjektive Rechte in manchen Bereichen notwendig und wenn ja, warum? Fördert ein rechtliches „Anspruchsdenken“ die Vereinzelung der Individuen und einen Fokus auf private, der politischen Gemeinschaft eher abträgliche Interessen? Verstärkt die Tendenz, individuelle oder gruppenbezogene (Menschen-)Rechte vor Gericht erkämpfen zu wollen, gesellschaftliche und politische Konflikte und verhindert sie, dass Interessen und Überzeugungen im politischen Raum verhandelt werden? Und wie sähe ein Recht aus, das weniger starke subjektive Rechte beinhaltet? Zur Beantwortung dieser Fragen werden wir neben der „klassischen“ Rechtskritik auch Texte aus der nachhaltigkeitsbezogenen Commons-Theorie und aus nicht-europäischen Rechtstraditionen heranziehen.
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