Kommentar: |
Die Public Policy Analyse (PPA) befasst sich mit der Erklärung und Wirkung konkreter politischer Entscheidungen (z.B. die Verabschiedung wirtschaftspolitischer Gesetze auf nationaler und supranationaler Ebene). Sie untersucht wie Politik funktioniert, welche Interessen sich durchsetzen und warum. Wie lässt sich etwa der Beschluss des Gesetzes über die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette von transnationalen Unternehmen in Deutschland oder die Vereinbarung über die Vergemeinschaftung von Schulden im Rahmen des COVID-Sanierungsfonds auf EU-Ebene erklären? Wie ist es NGOs in den USA gelungen, sich nach der Finanzkrise bei der Finanzmarktregulierung gegen mächtige Investmentbanken durchzusetzen?
PPA untersucht theoriegestützt, wie diese durchaus überraschenden Durchbrüche trotz bestehender starker Widerstände erreicht werden konnten. Welche Rolle spielen dabei Policy Entrepreneure, moralische Diskurse, soziales Lernen, Interessenkoalitionen oder nationale Wachstumsmodelle? Es werden jedoch nicht nur konkrete Maßnahmen und Gesetze untersucht. Denn Erkenntnisse über die kausalen Kräfte, die den Policy-Cycle beeinflussen, lassen sich auch durch die Analyse von Nicht-Entscheidungen gewinnen. Warum haben Regierungen in einigen Ländern die Vermögenssteuern und Spitzensteuersätze erhöht, während andere untätig geblieben sind? Wie können wir also erklären, warum Finanzkrisen in verschiedenen Ländern unterschiedliche Auswirkungen auf die Steuerprogression haben?
Neben der Analyse der Ursachen für politische Entscheidungen richten Policy-Forscher ihre Aufmerksamkeit auch auf die Auswirkungen von Gesetzen oder politischen Programmen. Es ist aber nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht, sondern auch für politische Entscheidungsträger und internationale Organisationen wichtig zu wissen, ob die beabsichtigten Wirkungen der von ihnen gestalteten Maßnahmen eingetreten sind oder nicht und was die Gründe dafür im Einzelfall sind. In diesem Kontext ist in den letzten Jahren das Interesse an qualitativen Evaluierungsmethoden enorm gestiegen.
Dieses Seminar vermittelt die grundlegenden Prinzipien und die Praxis qualitativer Methoden, die typischerweise in der PPA eingesetzt werden, um Forschungsfragen wie die oben genannten systematisch zu beantworten. Das Hauptziel des Kurses ist es, zu verstehen, welche policy-analytischen Fragestellungen mit qualitativer Forschung (im Vergleich zu quantitativen Ansätzen) untersucht werden können und was die Merkmale guter fallbasierter Forschungsdesigns sind. Zunächst diskutieren wir die allgemeine Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Forschung. Im zweiten Teil wenden wir uns der Fallauswahl und den für die Analyse verfügbaren Falltypen zu. Der dritte Teil befasst sich mit der "vergleichenden Methode", den verschiedenen Arten von vergleichenden Fallstudien und den Herausforderungen bei ihrer Durchführung. Der vierte Teil befasst sich mit der Prozessanalyse als zentrales Instrument sowohl für die Erklärung konkreter Policy-Outcomes als auch der Evaluierung von durchgeführten Maßnahmen. In einem fünften Teil befassen wir uns dezidiert mit Eliteninterviews und Fokusgruppen als zentrale qualitative Datenerhebungsmethoden. Anhand zahlreicher Beispiele aus dem Bereich der PPA werden gute und weniger gute Praktiken der qualitativen Forschung aufgezeigt.
Am Ende des Kurses werden Sie mit den wichtigsten Konzepten, Strategien und Herausforderungen von vergleichenden Fallstudien und der Prozessanalyse in Einzelfällen vertraut sein. Sie werden in der Lage sein, qualitative Forschung nach methodischen Gesichtspunkten kritisch zu lesen, ihre Qualität zu bewerten und eigene qualitative Forschungsdesigns zu entwerfen.
Die Prüfungsleistung besteht aus einer Portfolio-Prüfung:
- Kleinere Take-Home Exams, in denen methodische Aspekte von aktuellen Forschungspapieren behandelt werden
- Entwicklung eines qualitativen, fallorientierten Forschungsdesigns
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Bemerkung: |
Beispiel-Literatur:
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Starke, P. (2015). Prozessanalyse. Handbuch Policy-Forschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. 453–482.
Treib, O. (2014). Methodische Spezifika der Policy-Forschung. Lehrbuch der Politikfeldanalyse. 3., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Berlin: DE GRUYTER. 211–230.
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