Das Mittelalter und die deutsche Romantik
Dozent: Prof. Dr. Patrick Peters, MBA
Verantwortlicher Lehrstuhlinhaber: Prof. Dr. habil. Martin Schubert
Sommersemester 2025
In der Epoche der deutschen Romantik (ca. 1795 bis 1840) spielt die Mittelalterrezeption eine wesentliche Rolle. Die Rückbesinnung auf das – begrifflich eher unbestimmte – Mittelalter bildet eine der Säulen für das Denkgerüst der Romantiker: Es wird für politisch-kulturelle Zwecke der nationalen Einheit genutzt und beeinflusst die Ästhetik und inhaltliche Gestaltung vieler Texte über alle Gattungen hinweg. Die Bandbreite reicht von Friedrich Schlegels progressiver Universalpoesie und seiner berühmten Rede über die Mythologie über die Balladendichtung Ludwig Uhlands, patriotische Lyrik wie (nochmals!) Friedrich Schlegels Im Spesshart und romantische Novellendichtung wie Joseph von Eichendorffs Das Marmorbild bis hin zu Novalis Die Christenheit oder Europa und Friedrich de La Motte Fouqués Der Held des Nordens, der darin die Nibelungensage aufgreift und ein neues Werk aus verschiedenen Quellen zusammensetzt.
Und ebenso liegen in der wissenschaftlichen Erforschung des Mittelalters die Ursprünge der heutigen Germanistik. Denn die frühe deutsche Philologie ist im Kern Mediävistik, vorangetrieben beispielsweise durch Uhlands Geschichte der deutschen Poesie im Mittelalter und seinen Aufsatz über Walther von der Vogelweide, Joseph Görres‘ philologische Forschungen und freilich nicht zuletzt den Brüdern Grimm, die sich anhand alt- und mittelhochdeutscher Literatur immer auch der Erkundung des mythologisch bedingten Volksgeistes nähern wollen (Deutsche Mythologie). Jacob Grimm beispielsweise hat den engen Zusammenhang zwischen „Poesie und Geschichte in der ersten Zeit der Völker“ herausgearbeitet vergleicht die deutschen Sagentradition mit dem weitreichenden Einfluss Homers, der „von den Griechen mit Recht ein Vater der Geschichte“ genannt wird, „so dürfen wir nicht länger Zweifel tragen, daß in den alten Nibelungen die erste Herrlichkeit deutscher Geschichte nur zu lange verborgen gelegen ist“. Ebenso bedeutungsvoll sind unter anderem die Arbeiten Karl Lachmanns (dessen Zählung der Lieder Walthers von der Vogelweide auch heute noch genutzt wird), Georg Friedrich Beneckes, Friedrich Heinrich von der Hagens, Moriz Haupt und nicht zuletzt natürlich Karl Simrock, dem wir zahlreiche Übertragungen mittelhochdeutscher Gedichte ins Neuhochdeutsche und Die deutschen Volksbücher, die ältere Dichtungen in erneuernder Nacherzählung aufbereitet, zu verdanken haben.
Das Seminar möchte sich also mit dem spezifischen Mittelalterbild der deutschen Romantik befassen und die Rezeption dieser Zeit in der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts anhand der genannten Texte nachverfolgen. Im Ergebnis soll es darum gehen, die Einflüsse des Mittelalters auf die literarische Romantik aufzudecken und herauszuarbeiten, welchen Spezifika bei der Rezeption durch die vorrangig von jüngeren Autoren und Denkern in Abgrenzung zu Aufklärung und Klassik getragenen vorliegen. Hinsichtlich der Geschichte der Germanistik wollen wir das Verständnis von Poesie der Romantiker und die Bedeutung einer genuin deutschen Mythologie, die vom Mittelalter ausgeht, erarbeiten und verstehen, wie die „alte Poesie aus dem Kreis ihrer Nationalität [...] unter das gemeine Volk“ (Grimm) zurückkehren soll. Zudem will das Seminar die Geschichte der mediävistischen Forschung in dieser Epoche aufbereiten und daraus Rückschlüsse ziehen, welchen Wert diese Forschungen und Editionen heute noch haben.
Alle Texte werden frühzeitig vor Semesterbeginn über Moodle als Digitalressource zur Verfügung gestellt! |