Kommentar |
In der europäischen Literaturgeschichte nimmt die Gattung des Lehrgedichts eine so konstitutive wie vieldiskutierte Rolle ein. Bereits in der Antike wird sie zum Gegenstand poetologischer und philosophischer Kontroversen, etwa in der Frage, wie sich ihr Wahrheitsanspruch zum ‚Poetischen‘ (namentlich zu den aristotelischen Kategorien des ‚Möglichen‘ und ‚Wahrscheinlichen‘) verhalte, und ob das Lehrgedicht aufgrund seiner starken Affinität zur Wahrheit überhaupt zu den dichterischen Gattungen zu zählen sei; auch in der Frühen Neuzeit werden diese Diskussionen aufgenommen und fortgeführt, nunmehr verstärkt unter dem Gesichtspunkt, ob das Lehrgedicht in der Lage sei, starke Affekte auszulösen oder vielmehr, eben aufgrund seines scheinbar rein philosophischen Zuschnitts, eine gewisse Kälte ausstrahle. Das Seminar wird sich mit all diesen Fragen anhand von Hauptvertretern aus der Antike (Hesiod, Parmenides, Empedokles, Arat, Lukrez, Ovid, Vergil, Manilius), der Aufklärung (Haller, Brockes, de Polignac, Wieland, Gleim, Jacobi) und der Klassik (Schiller, Goethe, Tiedge) beschäftigen. In groben Zügen werden dabei auch die Umwertungen der philosophischen Weltbilder eine Rolle spielen, die aus der Philosophie Leibniz‘ um 1700 und aus der Philosophie Kants um 1790 entstanden sind. |