Geschwindigkeit gilt als Signum der Moderne. Sie bestimmt, wie schnell Ereignisse, die in der Zukunft liegen, zur Vergangenheit werden. Das Jetzt – jener flüchtige Übergang der Erwartungen in Erinnerungen – verliert mit jeder Beschleunigung an Bleiberecht. Das technische Substrat dieses Verlusts an Gegenwärtigkeit sind die seit der Industrialisierung ständig ausgebauten, zunehmend beschleunigten Medien für Transport, Kommunikation und Information. Überlagert wird der Prozess durch die ökonomische Beschleunigung von Produktzyklen, die neue Güter veralten lassen, bevor sie in Gebrauch genommen werden.
Auf dem Hintergrund dieser Marginalisierung des Jetzt ist es bemerkenswert, dass sich in Literatur, Kunst und Medien ein gesteigertes Interesse am Erleben von Gegenwärtigkeit als bewusst werdender Präsenz erkennen lässt. Ihr wollen die Vortragenden aus den je unterschiedlichen Perspektiven ihrer Fächer nachgehen; die Ringvorlesung vereint so verschiedene Disziplinen wie Literatur-, Sprach-, Medien und Kulturwissenschaft, Psychologie, Theologie, Soziologie und Medizin.
In all diesen von der beschleunigten Zeiterfahrung der Gegenwart markierten Kontexten spielt die gegenläufige Beobachtung eines ,Jetzt‘-Erlebens eine wesentliche, wenn auch bisweilen übersehene Rolle. Ihre systematische Erkundung steht im Mittelpunkt der Ringvorlesung.
Bewusste Präsenz-Erfahrung, die sich zunächst als Protest gegen Beschleunigung artikuliert, hat ihrerseits unterschiedlichste Gestalt, und es geht in der Ringvorlesung darum, die Qualität des Jetzt als Momente des Stillstands und der Intensität, der Begegnung und Entscheidung, der Konzentration und Versenkung, aber auch als Einbruchs des Unvorhergesehenen, des Schmerzes und der Verletzung zu beobachten. Der momenthaften Präsenz unterliegt als Folie u.a. das ursprünglich religiös instruierte Motiv göttlicher Erscheinung in der ‚Epiphanie‘. In ihrer säkularisierten Form wird sie nicht nur als Augenblick außerordentlicher ästhetischer Erfahrung künstlerisch gestaltet und evoziert, sondern umfasst heute auch alltags- und popkulturelle Phänomene. Im Rahmen von Eventkulturen und emotionaler Manipulation wird das Konzept der (gesteuerten) Epiphanie auch in ökonomischer und politischer Hinsicht bedeutsam.
Programm:
10.4.2018
Prof. Dr. Aleaxandra Pontzen (Universität Duisburg-Essen)/ Dr. Pierre Mattern
Epiphanien in der Gegenwartsliteratur
17.4.2018
Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Der Moment des Entscheidens. 'Herkules am Scheideweg'-Figurationen in Goethes Autobiographie
24.4.2018
Prof. Dr. Michael Beißwenger (Universität Duisburg-Essen)
Zeitlichkeit als 'Bug' - Zeitlichkeit als 'Feature': Besonderheiten des Interaktionsmanagements in der digitalen Kommunikation
15.5.2018
Prof. Dr. Christoph Bieber (Universität Duisburg-Essen)
"Nach meiner Kenntnis ist das sofort..., unverzüglich." Politische Echtzeitkommunikation in alten und neuen Medienumgebungen
29.5.2018
Prof. Dr. Jens Loehnhoff (Universität Duisburg-Essen)
Handlungskoordination zwischen symbolischer Explikation und subsymbolischer Präsentifikation
5.6.2018
Prof. Dr. Robert Seyfert (Universität Duisburg-Essen)
Immersion durch Transgression: Menschliche Teilhabe an sozio-technischen Systemen
19.6.2018
Prof. Dr. Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen)
"Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!" Inszenierungen der 'Aura des Moments' in medialen Formen und Formaten
26.6.2018
Franziska Schaaf, M. A. (Universität Duisburg-Essen):
Legitimierungen der Pause. Die Ausdehnung des Moments in Handarbeitsdiskursen der Gegenwart.
3.7.2018
Prof. Dr. Folkart Wittekind (Universität Duisburg-Essen)
Theologie- und kulturgeschichtliche Bemerkungen zur Präsenzerfahrung des Religiösen in der Theologie des 20. Jahrhunderts
10.7.2018
Prof. Dr. Stephan Herpertz (Ruhr-Universität Bochum)
Bedeutung lustvoller Augenblickshaftigkeit in Verhaltens- und anderen Süchten
17.7.2018
Abschlusstest
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