Kommentar |
Soziologische Theorien treten uns in der Regel als abgeschlossene Werke gegenüber und die verschiedenen Sozial- und Gesellschaftstheorien selbst geben selten darüber Auskunft, wie sie entstanden sind. Neben einer Abgrenzung zu anderen theoretischen Ansätzen erfahren wir wenig darüber, aufgrund welcher Daten und empirischer Phänomene die Theorien entwickelt worden sind. Die Frage, wie Theorien aus Ideen und Einfällen entstehen, scheint auch wissenschaftstheoretisch „einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein“ (Popper 2005:7). Das Seminar setzt genau an dieser Leerstelle an und wird dem „Entdeckungszusammenhang“ soziologischer Theorien nachgehen. Im Anschluss an Richard Swedbergs (2012; 2014; 2016) Überlegungen zum theorizing besteht das Ziel des Seminars darin, dass die Studierenden selbst eine empirische begründete Theorie eines sozialen Phänomens erstellen. Theorie ist hier allerdings nicht im herkömmlichen Sinne zu verstehen, sondern Theorie bedeutet in Anlehnung an Karl Weick (1995) die Erklärung eines Phänomens. Es soll die Fähigkeit eingeübt werden, wie man aufgrund von empirischen Daten eine soziologische Erklärung eines neuen sozialen Phänomens entdeckt. Insofern handelt es sich bei dem Seminar um ein Experiment, indem die unterschiedlichen Schritte, wie eine Theorie entdeckt werden kann, verfolgt werden.
Notwendig für das Seminar ist die Bereitschaft, sich auf ein Experiment einzulassen, bei dem unsicher ist, ob auch wirklich eine Theorie am Ende entsteht. Es gibt drei Grundlagen für die Theoriebildung: Zentral ist erstens Ihre eigene Bereitschaft, auf Basis einer Beobachtung von etwas Neuem eine eigene Theorie zu entwickeln. Die zweite Basis ist die Lektüre in den Seminarsitzungen, die praktische, methodische und theoretische Anleitungen für das theorizing sind. Drittens ist ein gegenseitiges Reflektieren und Kommentieren der Meilensteine ein wichtiger Bestandteil des theorizing. Vor allem letzteres erfordert Kollegialität und das Sich-Einlassen auf die Theorien der anderen Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer. Für die Reflexion ist eine Diskussionsbereitschaft auf Basis der Seminartexte und der verschriftlichen Meilensteine unerlässlich. |