Kommentar |
Der Begriff des Narrativs nimmt in den gesellschaftspolitischen Debatten der jüngeren Zeit eine erstaunlich prominente Rolle ein. Wurde dieser Begriff lange Zeit ausschließlich in der Literaturwissenschaft und von einigen Akteuren der politischen Kommunikation benutzt, ist dieser nun zu einem Schlüsselkonzept geworden, der in nahezu allen Formen der politischen Auseinandersetzung (Talkshows, Wahlkämpfe, Social Media, Parlamente, Strategiebildung in Organisationen etc.) auftaucht und auch im Alltagssprachgebrauch selbstverständlich benutzt wird. Sobald rätselhafte politische Ereignisse gedeutet werden müssen (Finanzkrise, Covid-Pandemie, Russische Invasion in der Ukraine), politische Maßnahmen legitimiert werden müssen (Steuerpolitik, Klimapolitik etc.) oder politische Zukunftsentwürfe (Wahlprogramme, Strategiepapiere) entwickelt werden, kommen Narrative ins Spiel. In der Forschung ist man sich weitgehend einig, dass Narrative eine zentrale Funktion in unserem gesellschaftlichen Miteinander einnehmen: bei der Sinnstiftung von Ereignissen, bei der Stabilisierung von Identitäten politischer Gemeinschaften und der (De-)Legitimierung unseres politischen Handelns. Die Politikwissenschaft beschäftigt sich nun stärker mit Narrativen, auch aufgrund des bösen Erwachens und in Form der Erkenntnis, dass der Aufstieg des Rechtspopulismus eng mit „erfolgreichem“ politischen Storytelling verbunden ist. Die Anziehungskraft und Macht politischer Narrative sind damit ein ambivalentes Phänomen, das für unterschiedliche politische Zwecke eingesetzt werden kann.
Das Seminar möchte diese Entwicklungen aufnehmen und verfolgt das Ziel, einen reflektierten politischen und politikwissenschaftlichen Umgang mit dem Narrativkonzept gemeinsam zu erarbeiten. Hierbei soll es auch explizit darum gehen, wie Narrative als kooperatives Arbeitskonzept zwischen Wissenschaft, Politik und Beratung eingesetzt werden können, um progressive Anliegen, wie gesellschaftliche Transformationsprozesse, voranzubringen. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie Narrative sowohl als Analyseinstrument als auch als strategisches/kooperatives Regierungswerkzeug in praktischen Kontexten (Stadtentwicklung etc.) sinnvoll genutzt werden können. Um dieses Lernziel zu erreichen, ist das Seminar in drei Blöcke gegliedert: Zuerst werden wir konzeptionelle Grundlagen erarbeiten und ein gemeinsames Begriffsverständnis entwickeln. Zudem werden wir uns bisherige Anwendungsformen in der Politikwissenschaft, etwa die (visuelle) Narrativanalyse, anhand von Beispielen anschauen. Im zweiten Teil geht es darum, wie das Konzept in praktischer Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und Beratung verwendet werden kann, um politische Transformationsprozesse zu unterstützen und kommunikativ zu begleiten. Im empirischen Fokus steht hier das Feld der Stadtentwicklung und eine größere Studie zu „Narrativen der Stadtentwicklung“, an welcher der Seminarleiter mit weiteren Kollegen der NRW School of Governance (Sebastian Jarzebski, Taylan Yildiz) gearbeitet hat und die als Orientierung dienen kann. Im dritten Teil sollen die Studierenden kleinere Projektgruppen bilden und eigene Vorschläge zu interessanten Fällen von Stadtentwicklung (Ruhrgebiet, Wuppertal, Duisburg, Oberhausen etc.) entwickeln. Hierbei werden zusätzliche Konzepte aufgegriffen (Reallabor, Quartierspolitik etc.), auch im Austausch mit Gästen im Seminar. In einer abschließenden Blockveranstaltung (18. Januar) werden die Projektideen in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Stadt Oberhausen (Wissenschaftscampus Oberhausen) und involvierten Praktiker*innen der Stadtplanung (u.a. Martin Florack) diskutiert. Die Studierenden nehmen in dieser Veranstaltung die Rolle von Berater*innen ein, die ihre Ideen gegenüber der politischen Praxis vorstellen.
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