Kommentar |
›Schimmelreiter‹ und ›Deichgrafen‹ galoppieren durch die Politikteile der deutschen Tages- und Wochenpresse; zahllose ›Biedermänner und Brandstifter‹ schlagen sich in den Lokalteilen; Schillers »Glocke« wird gleichermaßen in Heirats- (»Drum prüfe wer sich ewig bindet«) wie auch Stellenanzeigen (»Von der Stirne heiß, rinnen muß der Schweiß«) zitiert. Sieht man auch nur eine einzige Ausgabe einer der großen Tages- oder Wochenzeitungen etwas aufmerksamer und gezielter durch, so fällt auf, dass man – en passant – eine gehörige ›Dosis‹ Literatur rezipiert, ja, dass im publizistischen Alltag die selektive und fragmentarische Applikation (= Weiterverwendung in einem anderen als dem ursprünglich literarischen Kontext) die Regel darstellt: Zitate, Sentenzen, Charaktere, Symbole werden – wie potenziell jedes generative Subsystem kunstliterarischer Texte – bruchstückhaft weiterverarbeitet, untereinander verkettet und dies vor allem auch in ›eigentlich‹ nicht-literarischen Bereichen. Dem steht als schulische Form der Vermittlung von Literatur (immer noch) die ›Verpackungseinheit‹ des ganzen Gedichts, des vollständigen Romans, des kompletten Fünfakters gegenüber. Ausgehend von dieser Überlegung und ihrer empirischen Verifikation durch a) seminarbegleitende Auswertung mehrerer Tages- und Wochenzeitungen, b) Auswertung eines Fundus von in den letzten zehn Jahren zusammengetragenen Belegstellen wird die traditionelle Trennung in ›hohe Kunstliteratur‹ und ›niedere (Trivial-) Literatur‹ problematisiert und zugunsten der Vorstellung eines Ensembles von beiden gleichermaßen zugrunde liegenden ›elementar-literarischen Formen‹ präzisiert. Dazu wird im ersten Teil des Semesters der Zusammenhang zwischen ›Kunstliteratur‹ und ihren Applikationsformen (Sentenz, Zitat, Symbol, Charakter, Analogie) an besonders eingängigen Beispielserien erarbeitet. Der zweite Teil des Semesters dient dann exemplarischen Fallstudien. |
Literatur |
Erste Sekundärliteratur: a) Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes. 31. Aufl., Berlin 1964. b) Federman, Raymond: Surfiction. Der Weg der Literatur. Hamburger Poe-tik-Lektionen. Frankfurt a.M. 1992. c) Link, Jürgen: Was heißt elementare und was institutionalisierte Literatur, und wie ist ihr Verhältnis zu denken? In: Ders.: Elementare Literatur und generative Diskursanalyse. München 1983, S. 25-39. d) Link, Jürgen/Link-Heer, Ursula: Literatursoziologisches Propädeutikum. München 1980, bes. die »Lektion 5: Elementare Bestimmungen der lite- rarischen Rezeption«, S. 165-175. |