Das ist der Teutoburger Wald, Den Tacitus beschrieben, Das ist der klassische Morast, Wo Varus stecken geblieben. Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, Der Hermann, der edle Recke; Die deutsche Nationalität, Die siegte in diesem Drecke. Wenn Hermann nicht die Schlacht gewann,
Mit seinen blonden Horden, So gäb’ es deutsche Freiheit nicht mehr, Wir wären römisch geworden!
Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844
In einem öden, nicht mehr aufzuspürenden Waldgebiet Germaniens, am äußersten Rand des römischen Weltreichs verschwanden im Jahre 9 n. Chr. drei Legionen, drei Alen und sechs Kohorten von der imperialen Bildfläche: Die römische Besatzungsmacht unter ihrem Feldherren Publius Quinctilius Varus hatte eine desaströse Niederlage gegen den Cheruskerfürsten Arminius mit seiner Koalition germanischer Stämme erlitten und Varus nahm sich noch auf dem Schlachtfeld das Leben.
O! Quintili, armer Feldherr / Dachtest Du, daß so die Welt wär? (Victor von Scheffel)
Geschichte wird, so der Historiker Reinhart Koselleck entgegen dem geläufigen Diktum, nicht von den Siegern, sondern von den Besiegten geschrieben. Die Schlacht im Wald bestätigt fast prototypisch diese These, denn es wissen allein römische Quellen um die Gestalt des germanischen Anführers. Doch an historischer Akkuratesse scheint den wenigsten Berichten gelegen: In der ersten ausführlichen, von Tacitus verfassten Darstellung ist bereits ein Rezeptionsmechanismus angelegt, der auch für den weiteren Umgang mit der Figur des Arminius kennzeichnend sein wird. Denn der römische Geschichtsschreiber fand in Arminius eine Projektionsfläche seiner ganz eigenen Zeitdiagnostik und mithin Zeitkritik, indem er römisch-republikanische Tugenden wie libertas, virtus, gloria, die seine dekadenten Mitbürger für ihn verloren hatten, nun dem Anführer der Germanen zuschrieb. Die Gestaltung des Arminius-Stoffs scheint also schon seit der ersten Verschriftlichung von Über- und Umbesetzungen im Zeichen politischer Wirkungsabsicht determiniert zu sein. Nach der Wiederentdeckung der Tacitus-Schriften im Humanismus beginnt ab dem 17. Jahrhundert im deutschen Sprachraum eine fast inflationäre Textproduktion über den germanischen Anführer, der nun – nach einer Periode der Latenz im Mittelalter – eingedeutscht als Hermann erneut die Bühne betritt.
Wenn ich ein poet wer, so wolt ich den celebriren. Ich hab ihn von hertzen lib. Hat Hertzog Herman geheißen, ist her vber den Hartz gewesen, so Martin Luther in einer seiner Tischreden. Der nach-lutherischen Leidenschaft, mit derer sich im 18. und 19. Jahrhundert deutsche Poeten dieser Legende im Zeichen nationaler Symbolsuche verschrieben, möchte das Seminar entlang Klopstocks „Bardit“ Hermanns Schlacht (1769) und Kleists politischem Drama Hermannsschlacht (1807) ebenso nachspüren, wie der Frage, warum gerade das so mehrdeutige und unsichere Schlachtgeschehen aus dem nicht mehr lokalisierbaren Unterholz der Geschichte zum deutschen Nationalmythos par excellence aufsteigen konnte.
Beispiel HERMANNSSCHLACHT: ein relativ folgenloser Grenzzwischenfall im römischen Imperium als nationaler Mythos, bei Kleist Guerilla. (Heiner Müller)
Allzu einfach – so zeigt es nicht zuletzt die Rezeptionsgeschichte Klopstocks und Kleists – sollte man sich diese Lektüreaufgaben nicht vorstellen – produzieren doch nicht die hintersinnigen Texte, sondern allein deren oberflächliche Deutungen gefährliche Lesarten als böse Banalitäten.
Entlang der beiden ausgewählten Dramen sowie literaturtheoretischer und kulturwissenschaftlicher Forschungsbeiträge wird sich das Seminar einen Weg durch dieses ideologische Dickicht bahnen.
Mit obligatorischer Exkursion zum Hermannsdenkmal in Detmold. |