Kommentar |
In diesem Seminar wird es darum gehen, Stummfilme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
Hierbei scheint die filmwissenschaftliche Sicht zunächst die naheliegende zu sein, da Filme ohne zu hörende Sprache die ersten 35 Jahre der Filmgeschichte dominierten, so dass man, wenn man sich mit der Entstehung der spezifisch filmischen Darstellungs- und Erzählweisen befassen möchte, die Zeit des Stummfilms in den Fokus rücken muss.
Filmische Erzählweisen entstanden nicht im „luftleeren Raum“. Mit der stärkeren Herausbildung des Erzählkinos ab Mitte der 1910er Jahre bildeten sich immer mehr Verbindungen zur Literaturgeschichte heraus, nicht unbedingt und primär in Form von „Adaptionen“ sondern vielmehr in der Wiederaufnahme und Neuverarbeitung von Motiven, die in Film und Literatur häufig eine gemeinsame Wurzel in der Geistesgeschichte und Gesellschaftsentwicklung hatten. Diese Zusammenhänge und literaturhistorischen Bezüge bieten Stoff für literaturwissenschaftliche Debatten.
Dass man in Stummfilmen Sprache in Zwischentiteln lesen und die sprachlich handelnden Figuren zwar körperlich agieren sehen, die von ihnen artikulierten sprachlichen Äußerungen aber nicht hören kann, erzeugt eine ungewöhnliche Aufspaltung und Reduktion der verschiedenen Modalitäten zwischenmenschlicher Interaktion, die nicht nur vom Kino her, sondern auch vonseiten der Linguistik zu diskutieren ist: Unter welchen Bedingungen wird dramatische Interaktion, die zur filmischen Entfaltung eines Handlungsgeschehens beiträgt, im Medium Stummfilm unter Verzicht auf die Stimme inszenierbar? Wie spielen nonverbale Interaktionsanteile (Mimik, Gestik, Körperpositur), Ausstattung, filmische Mittel, Musik und Texte (Zwischentitel) im multimodalen, filmischen Produkt zusammen, um dem Publikum Handlung und Bedeutung zugänglich zu machen?
Die skizzierten Perspektiven greifen unterschiedliche Aspekte der Filmgestaltungen heraus, die letztlich wieder im Werk zusammenkommen. Im Seminar möchten wir an ausgewählten Stummfilmen untersuchen, wie die verschiedenen disziplinären Zugriffe, Methoden und Analysekategorien an die basalen und dennoch vielfältigen Kinoformen des Stummfilms herangetragen werden und sich wechselseitig befruchten können.
Das Seminar findet als fächervernetzende und kooperative Veranstaltung statt, die von Prof. Dr. Michael Beißwenger, Dr. Liane Schüller und Peter Ellenbruch gemeinsam geleitet wird. Es ist für den Teilbereich Linguistik oder Literaturwissenschaft anrechenbar. Wenn Sie die Veranstaltung im Bereich Linguistik besuchen möchten, melden Sie sich bitte für dieses Seminar (Prof. Dr. Michael Beißwenger) an. Wenn Sie das Seminar im Bereich Literaturwissenschaft besuchen möchten, melden Sie sich bitte für eines der gleichnamigen Seminare von Peter Ellenbruch oder Dr. Liane Schüller an, die dem Bereich Literaturwissenschaft zugeordnet sind. Dass die Veranstaltung in LSF drei Mal existiert, hat mit der Zuordnung zu verschiedenen Teilbereichen und Lehrenden zu tun; tatsächlich handelt es sich um eine Veranstaltung, die von den drei Lehrenden im "Team Teaching"-Modus geleitet wird und an der die zugelassenen Teilnehmer:innen aller drei LSF-Veranstaltungen teilnehmen werden.
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