Kommentar: |
Die seit längerer Zeit von Sozialwissenschaftlern vertretenen Thesen vom „Ende der Arbeit" (Rifkin) bzw. der „Krise der Arbeitsgesellschaft" und von dem abnehmenden Deutungspotential arbeitszentrierter Gesellschaftsanalysen (Offe), scheinen vordergründig in einem Widerspruch zur politischen Rhetorik zu stehen, die in der Erwerbsarbeit (weiterhin) eine unabdingbare und unhinterfragte Voraussetzung des Fortbestands von Wirtschaft und Gesellschaft sieht. Vertreter der sog. „Volksparteien" proklamieren Arbeit jedenfalls zur „Hauptsache" (SPD), und der ehemalige Arbeitsminister Jung (DU) gibt der Schaffung von Arbeitsplätzen außerökonomische Weihen, indem er verkündete, dass „sozial" sei, was „Arbeit schafft". Sind es unterschiedliche „Wirklichkeiten" oder unterschiedliche „Wertungen", die in diesen gegensätzlichen Sichtweisen zur Geltung kommen? Einerseits sprechen Indikatoren wie die weiterhin zunehmende Erwerbsbeteiligung (insbesondere von Frauen) in der deutschen Bevölkerung und die neuerliche Entwicklung der (Lebens-) Arbeitszeit nicht für eine abnehmende Relevanz von „Arbeit". Unstrittig ist aber auch, dass „Arbeit" und Beschäftigungsverhältnisse im Zuge der Bedeutungszunahme von immateriellen Produktionsprozessen und (wissensbasierten) Dienstleistungen einerseits und dem Wandel von Organisationsstrukturen und Beschäftigungspolitiken andererseits - vielgestaltiger und unübersichtlicher geworden sind. „Arbeit" lässt sich nicht mehr, wie im Zeitalter der industriellen Arbeitsgesellschaft, durch ein „Leitbild" von Arbeit, der Figur des homo faber, versinnbildlichen und beobachten und ist nicht mehr durch ein Beschäftigverhältnis, das „Normalarbeitsverhältnis", gekennzeichnet. Auch wird vielen Tätigkeiten jenseits der Herstellung von Waren und der marktvermittelten Erbringung von Dienstleistungen in zunehmendem Masse Arbeitscharakter zuerkannt bzw. zugeschrieben (z.B. Hausarbeit; Gefühlsarbeit; Beziehungsarbeit). Wo immer man hinschaut: Man sieht Arbeit. Arbeit ist in diesem Sinne „soziologisch amorph" geworden, wie man in Abwandlung einer auf den Charakter von Macht bezogenen Aussage von Max Weber formulieren könnte. Ein denkbarer Ausweg aus dieser Unübersichtlichkeit könnte darin bestehen, sich, wie Max Weber es gefordert hat, danach zu fragen, welches denn die „Kulturbedeutung" von Arbeit ist. D.h., danach zu forschen, welches die mit (diesen veränderten Formen von) „Arbeit" verbundenen und zur Geltung kommenden unterschiedlichen „Wertbeziehungen" und „Wertideen" sind, ohne deren Kenntnis ein Verständnis der mannigfaltigen Wirklichkeit der (heutigen) Arbeitswelt - auch unter Berücksichtigung ihrer sozialökonomischen Bedingtheit - letztendlich nicht möglich sei. Im Seminar soll zunächst Webers Konzept der „Kulturbedeutung" diskutiert werden. In der Rezeption kulturgeschichtlicher Analysen von Arbeit soll das Konzept angewendet und auf seine Tauglichkeit geprüft und ggf. für die Analyse gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse erprobt werden. |
Literatur: |
(grundlegend; weitere Literatur wird im Seminar bekannt gegeben) Jochum, Georg (2010) Zur historischen Entwicklung des Verständnisses von Arbeit, in: Böhle, Fritz u.a. (Hrsg.) Handbuch Arbeitssoziologie, Wiesbaden: VS, S. 81-125 Weber, Max (1904/1988)) Die „Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen: Mohr/Siebeck, S. 146-214 |