Das Familienfoto in der Literatur
Gemeinhin sprechen wir Fotografien eine besondere Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Dokumentation vergangener Ereignisse zu. Fotografien dienen als Gedächtnismedien, die Vergangenes nicht nur fixieren, sondern ihm einen Erinnerungswert hinzufügen: was fotografiert wird, soll erinnert werden. Es ist nicht allein ein alltagspraktischer Befund, dass das Betrachten von (zumal alten) Fotografien Anlass für Erzählungen bietet; so auch in der Literatur. Die innerhalb der Familie aufbewahrte, überlieferte und in einen spezifischen historischen Kontext gerückte Fotografie ist daher weniger als ein Speichermedium zu betrachten als vielmehr Anlass für vielfache Prozesse der Wiederaneignung von Vergangenem im Medium der Literatur. Im Seminar geht es also um das Verhältnis von Fotografie und Gedächtnis als ein zentrales Thema literarischer Texte nicht nur der Gegenwart.
Neben einem Überblick über die Theorie und Geschichte der Fotografie sollen daher auch erzähltheoretische Positionen beleuchtet werden. Da sich die binnenfamiliäre Überlieferung vergangener Ereignisse sowie die literarische Auseinandersetzung mit diesem ‚Erbe‘ durch spätere Generationen im Spannungsfeld von privater und öffentlich-politischer Erinnerungskultur vollzieht, werden wir uns darüber hinaus mit Konzeptionen zur Bestimmung des kollektiven Gedächtnisses zu befassen haben.
Zu untersuchen ist also an ausgewählten literarischen Arbeiten vornehmlich der vergangenen zwei Jahrzehnte, welche Erinnerungsprozesse durch Fotografien initiiert, wie diese literarisch ausgestaltet werden und in welchen historisch-politischen Kontexten solche literarische Erinnerungsarbeit zu verorten ist. Behandelt werden u.a. (Auszüge von) Texte(n) von Wilhelm Raabe, Hans-Ulrich Treichel, Monika Maron, Uwe Timm und W.G. Sebald.
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